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Rassistische Klassenjustiz im „Schlepperei“-Prozess

Wir rufen zur Beteiligung an der Demonstration „Gemeint sind wir alle“ am Tag der Menschenrechte am Mittwoch, den 10.12.2014 um 18.00 am Westbahnhof auf. Wir schließen uns der Forderung nach Abschaffung von § 114 Fremdenpolizeigesetz („Schlepperei“) und § 274 Strafgesetzbuch („Landfriedensbruch“) vorbehaltlos an.

 

Gegen Grasser wurde nie als Mitglied einer kriminellen Vereinigung ermittelt.

In Österreich wiegt die Bezahlung eines 10 Euro-Bustickets von einem Flüchtling für einen anderen Flüchtling mehr als dubiose Provisionen in Millionenhöhe aus oder Milliardenverluste von Steuergeldern. Die Justiz agiert mit an Willkür grenzender Unverhältnismäßigkeit bei der Auslegung des Strafrechts, wenn sie besitzlose Flüchtlinge mit aller Härte bestraft, während Verfahren gegen vermögende Bonzen mit aller Milde eingestellt werden.

“Zwei Personen wollten, dass Sie sich ein Handy kaufen, um mit Ihnen in Kontakt bleiben zu können. Das gilt als Beweis für die kriminelle Vereinigung.” (Zitat: prozess.report.at) meint die Richterin zu einem Verurteilen, um die Entscheidung des Schöffensenats rechtzufertigen. Ein anderer Flüchtling brachte eine Wurstsemmel in den Votivpark und wurde am Donnerstag in Wiener Neustadt verurteilt, weil er damit die Durchreise eines anderen Flüchtlings gefördert haben soll.

Grasser kaufte einem Flüchtling vermutlich noch nie ein Wurstsemmel, aber das ist nicht der Grund weshalb nie gegen ihn als Mitglied einer kriminellen Vereinigung ermittelt wurde. Bei einem ehemaligen Minister wird nämlich erst gar nicht von einer kriminellen Vereinigung sondern von einem Netzwerk gesprochen und zwar in den Ermittlungen der Exekutive und vor Gericht. Medien schreiben im kritischsten Fall von der Buberlpartie.

Justiz und Exekutive verlieren zunehmend an Glaubwürdigkeit

Wenn in Österreich Menschen verurteilt werden, weil sie eine Wurstsemmel weiter schenken, hat Österreich größere Probleme als vielleicht bislang von Kritikerinnen angenommen. Diesen Problemen werden sich jene stellen, die davon wissen, und das sind immer mehr. Die Behörden scheuen sich bislang nicht bei der interessierten Öffentlichkeit jegliche Glaubwürdigkeit zu verlieren und unterschätzen dabei die Multiplikationseffekte der ausführlichen Prozessberichterstattung bei einer Reihe von politisch brisanten Verfahren.

Während die Polizei nun sogar auf Twitter in die Offensive mit Aktivistinnen geht und zwischen öffentlicher und interner Kommunikation sehr genau unterscheidet, wird durch die detaillierte Live-Prozessberichterstattung das praktizierte Unrecht bei Gericht offenkundig. Die Justiz agiert wenig überraschend im Sinne des bürgerlichen rassistischen Konsenses im Umgang mit Flüchtlingen.

Anstatt den rassistischen Umtrieben der Exekutive im Zuge der Ermittlungen etwa bei der illegalen Beeinflussung von Übersetzungsprotokollen ein Ende zu setzen, folgt die Justiz der Zusammenführung von belanglosen Indizien wie der Schenkung einer Wurstsemmel oder eines Bustickets hin zu einem strafrechtlich relevanten Delikt. Dem Eindruck nach überlässt die Justiz der Exekutive die Vorverurteilung, nachfolgend wird von ihr nur noch formell bestätigt was unter der Leitung der Staatsanwaltschaft konstruiert wurde.

Die Justiz misst mit zweierlei Maß

Relevant dabei ist nicht, ob das Verfahren bemüht korrekt von der Vorsitzenden des Schöffensenats geführt wurde. Rechtsstaatliche Minimalstandards einzuhalten, kann nicht zum einzigen Gradmesser für eine glaubwürdige Justiz im 21. Jahrhundert werden. Relevant ist vielmehr, dass die Justiz mit zweierlei Maß misst.

Seit Etablierung der bürgerlichen Gerichte im alten Griechenland wurden unglaubwürdige Urteile gefällt, 1926 gipfelte der Freispruch im Verfahren gegen die Mörder von Schattendorf im Justizpalastbrand. Heute sind wir in Österreich von einem Massenaufstand der Arbeiterinnen aufgrund eines unglaubwürdigen Urteils weit entfernt. Empörung ruft bei ihnen vor allem hervor, was die Justiz nicht tut, doch dabei fehlt der Paukenschlag des Freispruchs am Ende des Verfahrens. Augenscheinlich korrupte Vorgänge werden gar nicht erst zur Anklage gebracht, obwohl es um gemeinnütziges Geld aus den Staatskassen geht. Wer nicht den Eindruck von Klassenjustiz bei der Verurteilung der Ärmsten bekommt, bekommt ihn im Umgang mit den Vermögenden.

Um einen ehemaligen Minister und seinesgleichen zu verurteilen, braucht es zweifelsfrei mehr als die Empfehlung zweier Bekannter, sich ein Handy zuzulegen. Grassers Haberer benutzten ihre Handys sogar für ihren Austausch zu nicht erbrachten Leistungen und schienen dabei überzeugt, dass ihnen nichts passieren könnte. Im Verfahren gegen die Flüchtlinge wurde der Inhalt ihrer Alltagskonversationen am Telefon zur Verbrechensorganisation hochstilisiert. Anfang 2011 wurde im Audimax noch kollektiv über Meischberger und Plech gelacht, kürzlich wurde das betreffende Verfahren eingestellt. Der Ausgang dieser Causa amüsiert wohl kaum noch jemanden.

Josef Pröll war im Übrigen gerade während seiner Budgetreden im Parlament in erstaunlich heiterer Verfassung. Nichts aber war zu diesem Zeitpunkt weniger angebracht, als sich in der Rolle des Finanzministers durch doofes Grinsen von der eigenen Rede zu distanzieren. Eine strafrechtliche Verfolgung als Mitglied einer kriminellen Vereinigung muss der frühere Finanzminister Pröll, trotz Veröffentlichung des Berichts der Untersuchungskommission zur Verstaatlichung der Hypo, kaum fürchten. Stattdessen verfügt er auf freiem Fuß vermutlich über ein Jahreseinkommen, das einem durchschnittlichen Lebenseinkommen einer Arbeiterin entspricht.

Arbeiterinnen landen wegen Bagatellbeträgen vor Gericht. Die Verhältnismäßigkeit der Justiz bezieht sich deshalb wohl noch am ehesten auf das Verhältnis zwischen dem privaten Vermögensstand der Angeklagten und der zu verhandelnden Summe. Nach dieser Logik müssten zumindest aus den Hypo-Verbrechen Verurteilungen resultieren. In der Praxis sind Verurteilungen wegen Beträgen unter 100 Euro häufiger. Flüchtlinge werden in der Regel wegen Vergehen im Bagatellbereich verurteilt und nicht wegen 18 Milliarden. Verurteilte finden schwer oder nie wieder Arbeit. Und wer einen unsicheren Aufenthaltsstatus hat, muss mit der nachfolgenden Ausweisung rechnen. Herkunft und Klasse sind also maßgeblich für die Handlungen von Exekutive und Justiz.

Kriminalisierung von politischen Bewegungen zeigt autoritäre Tendenzen des Staates

Die Kriminalisierung von den Flüchtlingen, die sich aktiv an den Protesten für ihre Menschenrechte rund um die Votivkirche beteiligten, zeigt zudem einmal mehr die Tendenz Österreichs hin zu einem autoritären Staat. Eine Griss-Untersuchungskommission zur Einleitung der Ermittlungen gegen die Flüchtlinge in der Votivkirche könnte den Eindruck, dass sich die Politik der Exekutive bediente, um ein politische Problem zu lösen, wohl kaum entkräften.

Wir werden uns durch Repressionen ganz sicher nicht aufhalten lassen, auch weiterhin Wurstsemmeln für andere zu kaufen und auch darüber hinaus für unsere Nächsten da zu sein. Im Gegenteil stärkt die Verurteilung unserer Freunde unseren Widerstand gegen die menschenverachtenden Zustände im bürgerlichen Rechtsstaat Österreich. Wir hoffen im Rahmen der Berufungen nicht auf ein allgemeines Bemühen der Justiz ihre Glaubwürdigkeit wiederherstellen zu wollen.

 

http://prozess.report/fluchthilfe/

http://derstandard.at/2000005948813/Leistungsfrei-und-unbescholten

http://www.asyl-in-not.org/php/portal.php

 

ÖH Akademie der bildenden Künste Wien